Aus der Funkschau 1982 Heft Nr. 16
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 41 (von 72)
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1982
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Emil Ruhmer ergänzt Hedicks Vorschlag
Hedicks Vorschlag, tongesteuert variiert Klebstoff aufzusprühen und darauf magnetisierbares Pulver aufzubringen, wurde 1909 von dem Berliner Emil Ruhmer elegant abgeändert. Er nahm ein lichtempfindliches Filmband, das mit Chrom sensibilisiert die Eigenschaft bekam, je nach Belichtung verschieden stark aufzuquellen und noch naß eine davon abhängige Klebefähigkeit zu erreichen. Das nach dem Lichttonverfahren in Intensitätsschrift belichtete Band wurde durch eine Eisenstaubwolke gezogen und bekam so ein magnetoinduktiv abtastbares Eisenrelief.
Mehr oder weniger magnetisches Material im Sinne einer Tonschrift aufzutragen und dieses magnetoinduktiv abzutasten, das war die erste Verwirklichung der magnetischen Tonspeichertechnik. Und mehr kannte auch der Mann nicht, der 1898 anfing, das Magnetband zu verwirklichen, ebensowenig wie das Patentamt. Denn in der Einleitung zu Waldemar Poulsens erstem Patent, angemeldet 1898, wird der Stand der Technik so zusammengefaßt [9]:
- "Um Nachrichten und Gespräche zeitweise festzuhalten und sie auf Wunsch zur entsprechenden Zeit hörbar wiederzugeben, wurde gemäß der deutschen Patentschrift 42471 ein Vorschlag gemacht, die Schwingungen einer Membran, die eventuell zu einem Telephon gehört, dazu auszunutzen, Staubtheilchen gegen eine Unterlage zu schleudern, um mit Hülfe der in dieser Weise auf eine Unterlage vertheilten Staubtheilchen die empfangenen Gespräche oder Nachrichten, eventuell unter Benutzung eines Telephons, hörbar wiederzugeben. Wenn der verwendete Staub, wie in der Patentschrift angegeben, auch unter Umständen einer magnetischen Beeinflussung unterworfen werden kann, so erfolgt das Schleudern des Staubes gegen die Unterlage doch stets mechanisch, so daß man in diesem Falle von einer rein magnetischen Beeinflussung nicht sprechen kann."
Erstaunlicherweise ist man nicht auf die zehn Jahre ältere Veröffentlichung eines Amerikaners eingegangen, der das Tonbandgerät vorwegnahm. Ob Poulsen oder auch das Patentamt sie nicht gekannt hat oder ob man sie nicht als prioritätsschädlich angesehen hatte, läßt sich heute nicht mehr klären.
Die frühen Ideen des Oberlin Smith -
Doch wer war dieser Oberlin Smith ?
Im dunkeln blieb bis heute, wer dieser Oberlin Smith eigentlich war, der am 8. September 1888 in der amerikanischen Zeitschrift „The Electrical World" den Aufsatz „Some Possible Forms of Phonograph" [10], also „Einige mögliche Formen des Phonographen" veröffentlichte.
Viele Spekulationen hat man darüber angestellt; amerikanische Freunde, die ich befragte, meinten, es sei ein Journalist gewesen, weil er nie den Versuch zur Verwirklichung seiner Ideen gemacht habe; vielleicht war aber Smith auch nur ein Pseudonym.
Jedenfalls war der Name des Autors nicht geeignet, dem Aufsatz jene Beachtung zu verschaffen, die er verdient hätte, sind darin doch erstmals viele der wesentlichen Elemente der späteren Magnetbandgeräte schon angegeben worden.
Erst in unserer Zeit ist die Veröffentlichung beziehungsweise das Referat darüber [11] wieder ausgegraben worden. Seine Fig. 1, 2 und 3 (Bild 10) betreffen Edisons Phonographen, umgestellt auf ein Band mit einer für die mechanische Tonschrift bestimmten Schicht, die für den mehr oder weniger eindrückenden Stichel durch Erwärmung weich gemacht wird, während sie beim Abspielen wieder erhärtet ist.
Ein "laufender" Tonträger soll magnetisiert werden
Die wirklich große Erfindung findet sich jedoch in Fig. 4 und 5 (Bild 11). Erstmals wird hier konkret vorgeschlagen, einen laufenden magnetisierbaren Tonträger durch einen Elektromagneten, der im Rhythmus der Membranschwingungen eines als Mikrofon wirkenden Bellschen Telefons erregt wird, analog zu den Sprachschwingungen bleibend zu magnetisieren. Bei der Wiedergabe erzeugen die aufgezeichneten magnetischen Signale elektrische Ströme, die eine Telefonmembran wieder in Schwingungen versetzen und so die aufgezeichneten Töne hörbar machen.
Als Tonträger nennt Oberlin Smith einmal Drähte und Bänder aus Stahl, dann aber auch Fäden aus Baumwolle oder Seide, in die man Stahlstaub hineinverarbeitet hat. Dabei wußte Smith die Möglichkeiten der praktischen Anwendungen seines Magnettonfadens humorvoll zu schildern. Das Gebet des Herrn, so meint er, lasse sich auf einigen Metern Faden niederschreiben; eine junge Dame aber, die von ihrem Verehrer ein Garnröllchen erhält, würde sich schrecklich vernachlässigt vorkommen, wenn der Faden nicht wenigstens „garantiert 200 Yards lang" wäre.
Oberlin Smith - ein humorvoller Physiker oder ein Pseudonym ?
Wer dieser Oberlin Smith war, das kann man nicht mehr feststellen. Den technischen Ideen nach müßte er eigentlich ein Physiker gewesen sein, der seinen Namen durch „Smith" getarnt hat. Den humorvollen Schilderungen nach könnte er aber auch Journalist gewesen sein. So schreibt er zu seiner Fig. 6 (Bild 12), dem Magnetspeicher für Telefongespräche, in der Übersetzung von Zimmermann [12]:
- "Natürlich kann die Tonaufzeichnung auch an der Hörseite anstatt an der Sprechseite der Telefonleitung gemacht werden, und so könnte sich unsere hypothetische junge Dame, während sie den leidenschaftlichen Beteuerungen ihres Auserwählten lauscht, das Beweismittel für eine zukünftige Klage auf Erfüllung des Eheversprechens verschaffen."
In der Beschreibung zu seiner Fig. 4 und 5 (Bild 11) heißt es u. a.: Die magnetisierbare Schnur sollte von einer Rolle abgespult und nach Durchlaufen einer Drahtspule - also das, was wir heute „Spalt" nennen - auf eine zweite Rolle aufgewickelt werden. Um die Schnur straff durch die Spule - Schreib- und Lesekopf - zu führen, sollte die Abwickelspule durch eine Feder gebremst werden. Der Strom durch die Spule sollte von einem Bell-Telefon als Aufnahmeorgan mit in Reihe liegender Batterie geliefert werden (Gleichstromvormagnetisierung!).
Oberlin Smith philosophiert 1888 über eine "Stromverstärkung"
In der gleichen Spule sollten beim Abhörvorgang die Sprechströme für das Telefon induziert werden. Sollten die Sprechströme zu klein sein, dann war daran gedacht, in die Unterbrechungsstelle X eine - noch unbekannte - Einrichtung zur Stromverstärkung einzufügen.
Smith, der sich beklagte, daß ihm die Spezialisten nicht genügend über den Magnetismus sagen konnten, insbesondere bezogen auf seine kleinen Stahlpartikel, dachte auch an Stahldraht, von dem er meinte, daß er sich mit ausreichender Feinheit in Einzelmagnete auflösen ließe. - Eine revolutionierende Voraussage von Poulsens, noch zu erfindendem, Stahldraht-Telegraphon!
Am Schluß seiner Veröffentlichung schreibt er:
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- "Ich habe nicht die Zeit und nicht einmal ein hinreichend ausgestattetes Laboratorium, um die vorgeschlagenen Ideen zur logischen Erkenntnis des Erfolges oder Mißerfolges zu führen. Deshalb übergebe ich sie der Öffentlichkeit in der Hoffnung, daß einige der zahlreichen Experimentatoren auf diesem Gebiet in ihnen einen Keim des Guten finden mögen, aus dem Nützliches ersprießen möge. Sollte dies so sein, dann werde ich zweifellos eine gebührende Anerkennung für meinen Beitrag erhalten. Sollten sich aber diese Vorschläge als wertlos erweisen, so werden sie doch einen Zweck erfüllt haben, nach dem Grundsatz: Die Offenbarung dessen, was nicht sein kann, ist oft ein brauchbarer Hinweis auf das, was sein kann."
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Diese Anerkennung sollten wir ihm zollen. Für die Realisierung hatte ihm wahrscheinlich der noch nicht erfundene Verstärker gefehlt. Bei so geringer Eisendichte in der „Schnur" dürfte das abgegebene Signal zu klein für den Kopfhörer gewesen sein, trotz der langen Spule, die für die Speicherung hoher Frequenzen eine sehr hohe Schnurgeschwindigkeit gefordert hätte.
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Unverständlich ist, daß diese Arbeit, die doch das komplette Tonbandgerät enthielt, in keiner Weise auf die Zukunft befruchtend gewirkt hat. Daß die Veröffentlichung in der wenig gelesenen „Electrical World" erfolgte, kann keine Entschuldigung dafür sein, denn kurz danach, noch im Jahre 1888, wurde der Inhalt dieses Artikels - mit besonderem Hinweis auf die Originalität des magnetischen Aufzeichnungs- und Wiedergabeverfahrens - mit allen Bildern in der Zeitschrift „La Lumiere Electrique" veröffentlicht, die eine internationale Verbreitung hatte [11].
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