Aus der Funkschau 1982 Heft Nr. 20 / 21 / 22
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 45 / 46 / 47 (von 72)
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1982
.
Dr. Stilles Blattnerphone
Das Blattnerphone arbeitete mit einem 6mm breiten Stahlband und benutzte die von Stille schon 1918 angegebenen Köpfe, bei denen das Band auf den beiden flachen Seiten berührt, sozusagen durch das Band hindurch magnetisiert wird (Bild 29 und 30).
Die beiden Elektromagnete sind in der Laufrichtung um einen geringen Betrag (die Spaltbreite) gegeneinander versetzt, so daß sie eine Längsmagnetisierung liefern.
Bild 31 zeigt eine Darstellung des Feldverlaufes im Kopf (nach [23]) und Bild 32 das Prinzip des Blattnerphones.
.
.
Das "The British Blattnerphone" und die BBC
Zur Verwertung von Stilles Patenten in England gründete Blattner eine Firma, die „British Blattnerphone (Stille System) Ltd.".
Von Blattner lieh sich die British Broadcasting Corporation (BBC) eine Maschine aus (Bild 33), die sie dann fünf Jahre behielt [26].
Am 12. November 1930 wurde als erste Aufzeichnung die Ansprache von König Georg V. anläßlich der Eröffnung der „India Round Table Conference" aufgenommen und am selben Tag zu verschiedenen Zeiten ausgestrahlt.
Bild 33. Die Blattnerphone-Maschine, aufgestellt bei der BBC (November 1930) (Foto: BBC)
.
Eine Lösung für die Zeitverschiebungen im "British Empire"
Der Grund für die frühe Einführung der magnetischen Tonaufzeichnung bei der BBC - viel früher als in allen anderen Ländern, z. B. auch in Deutschland - war der damit ermöglichte „Empire-Rundfunk". Marconi hatte die Station Daventry so ausgebaut, daß Sendungen für Australien, Südafrika, Westafrika, Indien und Kanada mit den für dort notwendigen Zeitverschiebungen ausgestrahlt werden konnten.
1932 nahm dieses „Empire Broadcasting" den regulären Betrieb auf. Dazu bestellte man sich 1932 noch eine zweite Maschine von Blattner, die wieder in Deutschland gebaut wurde; ihre Daten: Stahlband 6mm breit und 0,08mm dick, Länge einer Spule 3000m, Spielzeit 20 Minuten.
Die dritte Maschine (die letzte in Deutschland gebaute) hatte einen Synchronmotor für den Antrieb, ein nur noch 3mm breites Band und eine Spielzeit von 32 Minuten. Diesen Standard übernahm in England die Marconi-Gesellschaft und später in Deutschland auch die Firma Lorenz.
.
Verbesserungen mit der „Marconi-Stille"-Maschine
Eine Maschine, die bei Blattner für die BBC gebaut wurde, entsprach jedoch in keiner Weise den Anforderungen dieser Rundfunkanstalt.
Deshalb entwickelte man zusammen mit Marconi (nach Lizenzen von Blattner und Stille) die „Marconi-Stille"-Maschine. (Von BBC-Freunden erhielt ich ein Originalfoto des ersten Exemplars dieser Maschine: Bild 34.)
Sie faßte wie die letzte Blattnerphone-Maschine 3000m Band. Da das Stahlband aber nur in einer maximalen Länge von 1000m zu beziehen war, mußten an zwei Stellen die Bänder stumpf aneinander gelötet werden. Das geschah mit Lötlampe und Silberlot als Hartlötung.
Da das dünne Band im Betrieb gelegentlich riß, kamen mit der Zeit noch weitere Lötstellen hinzu, die - zwischen den beiden Teilköpfen hindurchgeführt - die Köpfe zerstören konnten.
Deshalb hatte die Marconi-Maschine fünf Köpfe: drei für den Betrieb und zwei als Reserve, während des Betriebes einschaltbar (Bild 35) [28].
Die letzte dieser Maschinen wurde bei der BBC erst 1954 außer Betrieb gesetzt. Damit war die Stahlbandära in Europa endgültig zu Ende.
.
Professor Erwin Meyer vom Heinrich-Hertz-Institut in Berlin untersucht die Speichertechnik auf Stahlband
Was geschah in dieser Zeit in Deutschland ? Auch da begann man sich für das Stahlband zu interessieren, auch dann noch, als die AEG schon eine andere Tür geöffnet hatte. Wissenschaftlich, wie wir so etwas gerne gut fundiert haben möchten, ließ Professor Erwin Meyer vom Heinrich-Hertz-Institut in Berlin, einer unserer bekanntesten Elektroakustiker, die Speichertechnik auf Stahlband erst einmal systematisch untersuchen. Damit betraute er einen seiner Diplomanden, Eduard Schüller.
Eduard Schüllers erste Arbeiten
Schüllers Untersuchungen erfolgten an 10 Stück 15m langen Stahlbändern, deren Enden wie die endlosen Schleifen einer Bandsäge mit Hartlot stumpf zusammengefügt waren. Die Bänder waren 3mm breit und 0,05mm bzw. 0,08mm dick.
Sie wurden über zwei mit Schwungrädern versehene Scheiben gelegt, von denen eine angetrieben war. Die Bandgeschwindigkeit konnte von 1m/s bis zu 15m/s eingestellt werden (Bild 36 und 37). Es konnte mit Gleichstrom- und mit Wechselstrommagnetisierung gelöscht werden.
Die Aufsprechköpfe waren doppelseitig, wie von Stille vorgeschlagen. Für die Wiedergabe untersuchte man sowohl doppelseitige Köpfe wie auch einseitige.
Die ausführliche Diplomarbeit von Schüller, 1932 zusammen mit Meyer veröffentlicht [29], zeigte auf, was unter den verschiedensten Bedingungen von der magnetischen Speicherung auf Stahlband zu erwarten war.
.
C. Lorenz AG in Berlin entwickelt eine erste fahrbare Stahlbandmaschine
Die Untersuchungen animierten die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) dazu, sich bei der Firma C. Lorenz AG in Berlin eine für den fahrbaren Einsatz geeignete Stahlbandmaschine entwickeln zu lassen.
Für die stationäre Aufnahme von Musik war das damals übliche Schneiden auf Wachs- oder Folienplatten zwar qualitativ überlegen, doch für den Einsatz in fahrenden Wagen waren diese Schneidgeräte zu erschütterungsempfindlich.
Die „Lorenz-Stahlton-Bandmaschine (Bild 38), wie sie hieß [30], in einen Reporterwagen eingebaut (Bild 39), erfüllte einige Wünsche der RRG [31].
Für die Aufnahme von Reportagen war sie hervorragend geeignet, doch für die Anlegung eines Archivs war das schwere und unhandliche - übrigens auch rasiermesserscharfe - Stahlband nicht geeignet.
Dieses Bedürfnis konnte erst das Kunststoffband befriedigen, an dem und an den Geräten dafür in Deutschland fieberhaft gearbeitet wurde.
.
Eine Überraschung: Das magnetisierbare Papierband
Die Geschichte der Erfindungen zeigt, daß oft Außenseiter ganz neue Wege beschritten haben. So ähnlich war es auch in der Entwicklungsgeschichte des Tonbandes. Ein Außenseiter war es, der einen Meilenstein gesetzt hat und der uns an den Anfang einer ganz neuen Entwicklung der magnetischen Tonspeichertechnik erinnern soll.
Fritz Pfleumer experimentierte in Dresden
Von 1928 an überraschte der Dresdener Ingenieur Fritz Pfleumer (Anmerkung: ein Österreicher) die Fachwelt durch Vorführungen eines von ihm gebauten neuartigen Tonbandgerätes (Bild 40). Wie ein Zauberkünstler nahm er das Band aus dem Gerät, trennte es durch Zerreißen in Stücke, klebte diese mit Cohesan (so etwas wie heute Uhu) wieder zusammen und spielte das geklebte Band erneut ab. Bis auf geringe Knackstörungen an den Klebestellen lief das Band wieder wie vorher [32].
Für die damalige Zeit, als man die gerissenen Stahlbänder oder Stahldrähte mit der Lötlampe zusammenschweißen mußte, wobei die magnetischen Eigenschaften in der Umgebung der Lötstelle durch Ausglühen verlorengingen, war das fast ein Wunder. Die magnetischen Eigenschaften von Pfleumers Band gingen an der Trennstelle nicht verloren, die Klebestelle blieb fast unbemerkt. Er hatte ein Papierband benutzt, das er mit feinst-zerkleinertem Stahl, fast einem Stahlpulver, beschichtet hatte, und das Band dann wie ein Stahlband besprochen.
.
Pfleumer hatte völlig andere neue Ideen
Pfleumer war ein Spezialist für das Bedrucken von Papier mit Metallschichten. In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre war er mit der Entwicklung von Maschinen für das Aufdrucken von Goldmundstücken auf Zigarettenpapier beschäftigt. Wer ihn dazu angeregt hat, sich mit dem Tonband zu beschäftigen, ist nicht überliefert - man nimmt an, es sei Stille gewesen.
.
Jedenfalls begann er 1927, Zigarettenpapier statt mit dem Bronzepulver für die Mundstücke mit feinen Stahlpartikeln zu beschichten. Dann meldete er am 31. Januar 1928 ein Patent an, das am 5. Juni 1930 erteilt wurde [33] (sein Schicksal wird uns noch beschäftigen). Darin heißt es:
- „Auf einem Band oder sonstiger Unterlage aus beliebigem, vorwiegend biegsamen Werkstoff soll der für die Aufnahme der Lautschrift dienende, permanent mangetisierbare Werkstoff in außerordentlich feiner Verteilung, d. h. in Pulverform, aufgebracht werden".
.
Pfleumer: Weg vom Stahl und hin zum Eisen
Daß Pfleumer vom Goldmundstück kam, kann man in der Beschreibung an der Stelle erkennen, wo es heißt, daß das „Stahlpulver" mit einem möglichst nicht wasserlöslichen Klebstoff mit der Unterlage verbunden wird. Seine ersten Bänder mit relativ grob strukturierten Stahlpartikeln verursachten jedoch bei der Wiedergabe ein erheblich störendes Rauschen. Er suchte weiter, um ein günstigeres Material zu finden. Am 27. November 1930 meldete Pfleumer ein Zusatzpatent an, erteilt am 2. Juni 1932 [34], zu dessen Charakterisierung wir seine Einleitung wörtlich übernehmen:
- "Der Erfinder ging bei Verwendung von Stahlpulver für Lautschriftträger nach Patent 500 900 von der Ansicht aus, daß allein Stahl und insbesondere gehärteter Stahl den remanenten Magnetismus dauernd behalte. Durch Versuche mit Schallaufzeichnungen hat Erfinder jedoch festgestellt, daß diese Annahme mindestens für Feinpulver irrig ist. Ferner ist zwar für Eisen die Koerzitivkraft K, d. h. jene Magnetisierung, welche nötig ist, um den remanenten Magnetismus wieder aufzuheben, bedeutend geringer, als diejenige für Stahl ist, jedoch bleibt die Größe der Remanenz R an sich wenig hinter der des Stahles zurück, übertrifft sie sogar für einige Eisensorten."
.
Das erste Patent wurde wieder gelöscht
Damit war der Weg für unser Tonband gewiesen! Das sich auf magnetisierbare „Stahlpartikel" oder Körner aus ähnlich remanent magnetisierbarem Material beziehende Grundpatent wurde zwar später im Verlaufe eines Rechtsstreites als bekannt nachgewiesen und für nichtig erklärt, dafür wurde dann aber das Zusatzpatent selbständig und bot lange für das Tonband einen Rechtsschutz.
Pfleumer war ein Bastler, und mit seinem Modellgerät (Bild 40 - das steht weiter oben) waren seine Möglichkeiten erschöpft. Er trat an die Industrie heran, um sie für die Verwertung seiner Erfindung zu interessieren. So kam er auch 1930 mit der AEG in Verbindung, die den Wert der Erfindung erkannte und 1932 auf der Basis seines Grundpatentes einen Vertrag mit Pfleumer abschloß.
Dr. Theo Volk baute ein erstes Muster-Bandlaufwerk
In dem unter der Leitung von Dr. Volk im AEG Kabelwerk Oberschöneweide befindlichen Fernmeldelaboratorium wurde sofort ein Versuchsgerät gebaut. Es wurde als Doppelgerät mit senkrecht stehenden Spulen konzipiert, weil sich bei der hohen Bandgeschwindigkeit von 1m/s und den relativ kleinen Spulen eine so kleine Spieldauer ergab, daß man glaubte, zwei Einheiten für die Überblendung haben zu müssen. Doch das Versuchsmuster arbeitete zunächst unbefriedigend.
.
Eduard Schüller {1904-1976, Bild 41) arbeitete dann, nachdem er seine Diplomarbeit am Heinrich-Hertz-Institut erfolgreich abgeschlossen hatte [29], bei Prof. Erwin Meyer an einer Doktorarbeit über das gleiche Thema.
1932 hatte er auch von Pfleumer Proben von Papier- und Kunststoffbändern zur Untersuchung erhalten. Diese Verbindung führte dazu, daß ihn die AEG für die Weiterentwicklung ihres Tonbandgerätes einstellte.
Dort hat er führend an der Tonbandentwicklung und - als diese Aktivitäten an die AEG-Tochter Telefunken übergingen - dort weiter bis zu seiner Pensionierung gearbeitet; zuletzt an Videobandrecordern und an der Bildplatte. Viele Patente tragen seinen Namen.
.
Eduard Schüller analysierte die bisherigen Schwächen ....
Mit einer sehr einfachen Experimentier- apparatur (Bild 42) untersuchte er systematisch den Aufzeichnungs- und Abtastprozeß des neuartigen Materials, denn das Laborgerät, das er bei seinem Eintritt in das Magnetbandlaboratorium der AEG vorfand, arbeitete unbefriedigend.
Der von Stille angegebene zweiseitige Kopf war für das zarte, empfindliche Band nicht geeignet; die messerscharfen Polschuhe zerrissen es schon beim Anlauf. Außerdem streute das magnetisierende Feld dieses Kopfes (Bild 43a) viel zu breit, und die im Eisenkern verbleibende Remanenz konnte zu einer Ummagnetisierung führen - eine Gefahr, auf die schon Pfleumer beim Vorschlag der Pulvereisenschicht hingewiesen hatte.
.... und konstruierte und erfand den sogenannten "Ringkopf"
Schüller erfand den Ringkopf, weil er einen schönen gerundeten Polschuh benötigte, der glatt poliert war und nicht mehr schneidend, sondern eher polierend an der beschichteten Seite des Bandes anlag. Der Streufluß des Spaltes wird in die Magnetschicht des Bandes „hineingezogen"; die von den beiden Polen am Spalt ausgehenden Flußlinien schließen sich bevorzugt durch die Magnetschicht mit ihrer höheren Permeabilität und nur zum Teil durch den Spalt mit seiner geringen Permeabilität (Bild 43b).
In einer Längsmagnetisierung werden so die Signale dem vorbeiziehenden Band aufgezwungen. Der Aufsprechwandler ließ sich auch als Wiedergabewandler und für die Signallöschung einsetzen [35, 36, 37]. Dieser Ringkopf wurde (mit immer geringeren Spaltenbreiten) zur Basis fast aller modernen Löschköpfe, Aufsprecht- und Wiedergabewandler. Ein Triumph für Herrn Schüller!
Schüllers Ringkopf funktionierte
Von dem ersten Ringkopf, den Schüller angefertigt hatte, ist ein Foto vorhanden (Bild 44). Er hatte einen Luftspalt von 0,1mm Breite; heute geht man bei seinen Nachfolgern auf mikroskopisch winzige Spaltbreiten herab. Schüller erzählte gerne von dem ersten Modellgerät, das er bei seinem Eintritt in die AEG vorfand und das nur kläglich arbeitete: „Ich versah es mit Ringköpfen, und es spielte!"
Das Gerät spielte so gut, daß man es wagte, am 10. November 1933 den ersten, allen deutschen Betrieben verordneten Gemeinschaftsempfang (eine Rundfunkansprache aus dem Berliner Wernerwerk von Siemens & Halske) im AEG Kabelwerk Oberspree aufzuzeichnen.
So ganz sicher war man sich aber nicht; deshalb hatte man noch eine Plattenschneidapparatur daneben aufgestellt (Bild 45). Das Foto zeigt u. a. die kleine Entwicklungsabteilung für Magnetbandgeräte im AEG-Fermelde-werk (Fm/Lb) mit dem jungen Schüller (3. von rechts).
.
Die AEG holt die BASF mit ins Boot
Voller Optimismus ging man nun an die Weiterentwicklung des Gerätes. Der Vorstandschef der AEG, Geheimrat Herman Bücher (1882-1951), erkannte, daß man sich für die Herstellung der Bänder mit einer Firma zusammentun müßte, die schon über Erfahrungen in der Herstellung feinsten Eisenpulvers hatte. Das war die BASF in Ludwigshafen, dort wurde der Physikochemiker Wilhelm Gaus (1876-1953) mit der Bandherstellung beauftragt.